Spannender geht es nicht. Ein Treffer von Lorenzo Williams in letzter Sekunde hat am Samstagabend für riesigen Jubel in der Sporthalle Gießen-Ost gesorgt. Nach einer nervenaufreibenden Partie gewannen die LTi GIESSEN 46ers gegen die WALTER Tigers Tübingen mit 70:68 (35:46) und feierten damit am fünftletzten Hauptrundenspieltag einen weiteren wichtigen Sieg im Kampf um den Klassenerhalt in der Beko Basketball Bundesliga. Vor 3525 Zuschauern zeigte das Team von Cheftrainer „Vladi“ Bogojevic zwei Gesichter: Nach einem 38:54-Rückstand in der 24. Minute drehten die Gastgeber auf und kämpften ein starkes Tübinger Team nieder.
Zuvor hatten sich die Akteure der LTi 46ers während der Tübinger Angriffsaktionen viel zu oft mit der Rolle des Zuschauers begnügt, die nötige Intensität bei ihren Korbverhinderungsbemühungen vermissen lassen. Während die Schwaben deshalb vor allem im ersten Viertel über ein sicher vorgetragenes Kombinationsspiel immer wieder auf relativ einfache Art und Weise zu Korberfolgen in der Gießener Zone kamen, gefiel die Bogojevic-Truppe in den ersten zehn Minuten ausschließlich im Angriff durch ihr energisches Nachsetzen am gegnerischen Brett (sechs Offensivrebounds im ersten Viertel) und drei Dreipunktetreffer.
Nach dem 12:7 aus 46ers-Sicht durch einen erfolgreichen Hakenwurf des wieder einsatzbereiten Centers Elvir Ovcina (4.), der nach seiner zweiwöchigen Pause infolge einer Muskelverletzung im Spiel gegen Tübingen allerdings noch nicht wieder an die Form vor seiner Verletzung anknüpfen konnte und unter seinen Möglichkeiten blieb, erspielten sich die Tübinger eine 27:20-Führung (10.). Ein Dreier von Osvaldo Jeanty „ins Gesicht“ von Michael Jenkins sorgte für den 23:27-Zwischenstand nach dem ersten Viertel.
Zwei sehenswerte Korberfolge des Geburtstagskindes Maurice Jeffers (wurde 31), der sich seinen Ehrentag nicht durch eine Niederlage vermiesen lassen wollte, brachten den Ausgleich (27:27/12.). Ein Zwischenspurt bescherte den Gästen allerdings wieder einen Vorsprung (33:27, Dreier Thomas/15.), den sie trotz der folgenden Auszeit von Vladimir Bogojevic auf 43:31 (18.) ausbauten. Überdies hatte sich „Moe“ Jeffers nach 13 Minuten schon drei Fouls eingehandelt. Einem Steal ließ Max Weber im Eins-gegen-Null-Schnellangriff kurz vor der Pause einen Slam Dunk zum 35:44 folgen, der ersehnte Hallo-Wach-Effekt bei den Gastgebern sollte nach der Kabinenpredigt von „Vladi“ Bogojevic in der zweiten Hälfte folgen.
Tübingen baute seine Führung über ihren abgezockt vorbereitenden oder selbst abschließenden Routinier Aleksandar Nadjfeji zunächst zwar weiter aus (54:38/24.) aus, doch das Gießener Team wirkte nun in der Verteidigung im Vergleich zum Auftreten in Hälfte eins wie ausgewechselt. Die 46ers-Profis ließen endlich die notwendige Kampfbereitschaft und bedingungslosen Einsatz erkennen, legten in Sachen Intensität merkbar zu, klebten in der Defensive jetzt regelrecht an ihren Gegenspielern. Mit jedem eingesammelten Defensivrebound nach Tübinger Fehlwürfen, mit jedem Korberfolg im Angriff wuchsen das an der Körpersprache erkennbare Selbstvertrauen der Gießener Spieler sowie die Stimmung bei den 46ers-Fans auf den Tribünen.
Die WALTER Tigers gerieten ins Schwimmen, verloren ab Mitte des dritten Viertels die Kontrolle über das Spielgeschehen, was exemplarisch darin zum Ausdruck kam, dass dem von Jannik Freese beackerten Tigers-Center Ken Williams beim Versuch, Blocks für seinen Teamkollegen Branislav Ratkovica zu stellen, binnen einer Minute zwei Offensivfouls gegen Max Weber unterliefen; Weber übte in dieser Phase enorm viel Druck auf Tübingens Spielgestalter Ratkovica aus. Spätestens nach einem spektakulären Slam Dunk zum 49:54 (29.) von Maurice Jeffers, der bei dieser Aktion gleich vier Tigers-Akteure zu Statisten degradierte, kochte die Halle. Jeffers war im dritten Viertel ohnehin nicht zu stoppen, erzielte in diesem Viertel elf seiner am Ende 22 Punkte.
Während die Anzahl der Ballverluste der Tigers von drei (zur Pause) auf am Ende 14 stieg, war es in der 35. Minute der in der Schlussphase mit wichtigen Körben glänzende Kevin Johnson, der die LTi 46ers mit einem Dreier erstmals seit Mitte des ersten Viertels wieder in Führung schoss (62:60). Als Jeffers zum 64:60 nachlegte, schien der nur wenige Minuten vorher kaum mehr für möglich gehaltene Heimsieg greifbar nah. Die starken Tübinger gaben sich aber noch nicht geschlagen. Die Truppe von Cheftrainer Igor Perovic schlug zurück und hatte nach einem Ballverlust von Lorenzo Williams 18 Sekunden vor dem Ende beim Stande von 68:68 sogar die Chance, wieder in Führung gehen zu können.
In einer von Bogojevic genommenen Auszeit war der Plan ausgegeben worden, die Tübinger mit einem schnellen Foul an die Freiwurflinie zu bringen. „Zo“ Williams foulte den nicht als sichersten Freiwurfschützen bekannten Branislav Ratkovica. Und der 24-jährige Serbe verzitterte tatsächlich beide Würfe, nachdem er nur zwei Minuten zuvor an der Freiwurflinie zweimal sicher verwandelt hatte. Maurice Jeffers schnappte sich den Rebound, der fast schon in den Händen von Romeo Travis zu sein schien, 13 Sekunden hatten die LTi 46ers nun ihrerseits zur Verfügung, um den möglicherweise entscheidenden Korb zu erzielen.
Die Tigers nutzten die Tatsache, dass sie in diesem Viertel bis dahin erst zwei Teamfouls begangen hatten, zu zwei schnellen Fouls. 4,5 Sekunden zeigte die Uhr, als Lorenzo Williams nach einem Einwurf von Maurice Jeffers rund drei Meter hinter der Dreierlinie den Ball zugepasst bekam. Der 25-jährige US-Amerikaner zögerte natürlich keine Sekunde, machte sich auf den Weg in Richtung Korb, verschaffte sich mit einer Körpertäuschung den entscheidenden Vorteil gegenüber seinem Gegenspieler Steven Wright und stieg – bedrängt von Wright und dem zur Hilfe geeilten Nadjfeji – zum Korbleger hoch. Als die Kugel mit Ertönen der Schluss-Sirene zum 70:68 durch den Ring fiel, schien die Sporthalle Ost zu explodieren, so laut war das kollektive “Jaaaaa” von den Rängen, das nach dem Feststehen dieses wichtigen Sieges wohl auch noch ein paar Kilometer weiter zu hören gewesen sein dürfte.
Trainerstimmen zum Spiel
Vladimir Bogojevic (LTi 46ers): “Wir haben heute zwei Gesichter gezeigt. Das lag auch daran, dass Tübingen uns in der ersten Halbzeit vor große Schwierigkeiten gestellt hat. Zu Hause 46 Punkte in einer Halbzeit kassiert zu haben, ist zu viel. Wir haben in der ersten Halbzeit leider jegliche Aggressivität vermissen lassen und zu viele einfache Punkte, zu viele Punkte in der Zone kassiert. In der Halbzeit habe ich an den Charakter der Mannschaft appelliert, denn ich möchte nicht ein Teil davon sein, dass eine Mannschaft sich so leblos präsentiert. In der zweiten Halbzeit haben wir dann nur 22 Punkte zugelassen, das ist das Ergebnis von 20 Minuten hartem Kampf. Tübingen sind in der ersten Halbzeit drei Ballverluste unterlaufen, am Ende waren es 14 – das hat etwas mit unserem höheren defensiven Druck nach der Pause zu tun. Unter dem Strich war es ein Sieg der Einstellung, des Willens. Man konnte am Ende möglicherweise sehen und spüren, dass bei uns der ultimative Wille, den Klassenerhalt zu schaffen, vorhanden war. Nichtsdestotrotz hat es Tübingen uns heute alles andere als leicht gemacht. Wir freuen uns riesig und hoffen, dass wir in den nächsten paar Wochen eine etwas ruhigere Zeit haben werden.
(Auf die Frage, was er zur Leistung von Moe Jeffers und dem entscheidenden Korb von Lorenzo Williams meint:) Endlich haben wir es geschafft, am Ende das umzusetzen, wie wir es abgesprochen hatten. Nach dem Tübinger Einwurf wollten wir foulen. In der letzten Aktion hat Lorenzo (Williams) das sehr abgebrüht und geistesgegenwärtig gelöst. Moe (Jeffers) war wichtig, hat uns am Leben gehalten und wichtige Punkte gemacht, uns den Funken gegeben, den wir offensiv gebraucht haben. Wenn wir schon dabei sind, Leute zu erwähnen – ich mache es nicht gerne, weil es ein Mannschaftssport ist – aber das was Max (Weber) und Jannik (Freese) uns heute an Intensität gegeben haben, war sehr wichtig für die Mannschaft. Man sieht es manchmal nicht an den Statistiken, aber Max war heute der entscheidende Faktor in der Defensive: Er hat uns diese Bissigkeit verliehen und mit seinen Aktionen auch die Zuschauer ins Spiel gebracht.”
Igor Perovic (WALTER Tigers): “Wir haben das Spiel fast 30 Minuten lang kontrolliert, ein Basketballspiel geht aber über 40 Minuten. Gießen hat dann besser gespielt, ist in den letzten Minuten viel physischer, aggressiver und mit mehr Selbstvertrauen aufgetreten; das war der Hauptgrund, warum wir in der Offensive die Kontrolle verloren haben. Ihr Inside-Spiel konnten wir am Ende nicht stoppen, vor allem Johnson hat uns mit seinen Punkten im Schlussviertel weh getan, Jeffers haben wir das ganze Spiel lang nicht stoppen können.”
Punkteverteilung LTi 46ers: Jacovic (n. e.), Williams (13), Johnson (9), Perl (n. e.), Lischka, Ovcina (8), Weber (2), Freese (4), Tapuskovic, Jeffers (22), Werner (5), Jeanty (7).
WALTER Tigers, beste Werfer: Travis (17), Jenkins (14), Ratkovica (13).