Wohl nur selten sind die Anhänger der LTi GIESSEN 46ers bei einer Niederlage so gut unterhalten worden wie am Freitagabend in der Sporthalle Gießen-Ost. Im Spiel gegen ALBA Berlin, einen der Top-Favoriten auf den deutschen Meistertitel, betrieb der Beko Basketball-Bundesligist aus Mittelhessen beste Werbung in eigener Sache. Folgerichtig geizten die etwas mehr als 3000 Besucher nicht mit aufmunterndem Applaus, den sich die Gastgeber nach der 76:81 (64:64/35:36)-Niederlage nach Verlängerung gegen ALBA auch redlich verdient hatten. Beinahe hätte die ersatzgeschwächt ohne den verletzten Johannes Lischka (Mittelhandbruch) angetretene Gießener Mannschaft für eine faustdicke Überraschung gesorgt. Die Truppe von Trainer „Vladi“ Bogojevic brachte den in Bestbesetzung angereisten achtmaligen Deutschen Meister in arge Nöte, die Hauptstädter standen nicht nur beim 68:73 aus Gästesicht in der dritten Minute der Extraspielzeit am Rand einer Niederlage.
Vom Sprungball weg boten die 46ers den favorisierten Albatrossen erfolgreich die Stirn. Mit zwei im gegnerischen Korb versenkten Dreiern deutete Shooting Guard David Teague schon in der Anfangsphase an, dass er an diesem Abend zu Höherem berufen war (10:5/3.). Der im Vorfeld der Partie geäußerte Plan, ALBA keine einfachen Punkte im Positionsspiel zu ermöglichen, ließ sich zunächst zwar nicht umsetzen, weil die Berliner das Doppeln der eigenen Ballvorträger nicht nur einmal dazu nutzten, um mit cleverem und exaktem Passpiel zum freien Abschluss am Gießener Brett zu gelangen (15:17, Chubb/8.). Da die 46ers-Akteure jedoch durchweg durch ihren unermüdlichen Einsatz gefielen und im Gegensatz zu den ersten beiden Saisonpartien auch akzeptabel von der Freiwurflinie trafen (5 Treffer bei 6 Versuchen im ersten Viertel, 13 von 19 über das gesamte Spiel), konnten auch die in der Mann-Mann-Verteidigung zutage getretenen Mängel nichts am guten Gesamteindruck des vom Publikum mit warmem Applaus in die erste Viertelpause (17:19) verabschiedeten Heimteams ändern.
Als Ex-Albatros Bogojevic zu Beginn des zweiten Abschnitts auf eine Zonenverteidigung umstellte, war es um die bis zum 17:24 (11.) gezeigte Souveränität der Gäste in der Offensive geschehen. Während sich die Mannschaft des seit 2007 an der Spree tätigen Coaches Luka Pavicevic in ihren Angriffsbemühungen in der Folge deutlich schwerer tat, kam die 46ers-Fünf ins Laufen. Nachdem ein Pass von Kenan Bajramovic statt in den Händen von Steffen Hamann im eigenen Rückfeld landete, schaltete Lorenzo Williams am schnellsten; der Gießener Aufbauspieler riss sich die Kugel unter den Nagel und vollendete per Eins-gegen-null-Korbleger unter großem Jubel der Fans zum 24:24 (14.). David Teague zeigte sich weiterhin zielsicher und traf auch schwierigste Würfe (26:25 aus sechs Metern gegen einen in dieser Szene bestmöglich verteidigenden Julius Jenkins/15.). Nach seinem dritten Dreier zum 33:34 kurz vor der Halbzeit (35:36) hatte der 26-jährige US-Amerikaner bereits 15 Zähler auf seinem persönlichen Punktekonto angesammelt. Erfreulich zudem, dass die Gießener bis zur Pause nicht nur aus der Distanz, sondern in Person des sehr präsenten Centers Martin Kohlmaier sowie nach forschen Penetrationen der Außenspieler auch in unmittelbarer Brettnähe Korbgefahr ausgestrahlt hatten.
In Hälfte zwei erwischten die Gastgeber den wesentlich besseren Start. Offensiv zog das Team von Vladimir Bogojevic, genauer: ein gewisser David Teague, munter seine Kreise. Nach sechs Teague-Punkten in Folge und Fastbreak-Punkten von Lorenzo Williams lag Gießen gegen ein nun stark verunsichert wirkendes ALBA-Team mit 45:37 in Führung (23.). Gegen die Ball-Raum-Verteidigung der Hausherren wirkte der letztjährige Teilnehmer an der Top-16-Runde der Euroleague zuweilen hilflos. Auf der anderen Seite war David Teague nicht zu stoppen: Sein vierter Dreier sorgte für das 54:47 (29.). Ein unsportliches Foul gegen Joe Werner, der ALBA-Aufbauspieler Steffen Hamann bei einem Korbleger behinderte, obwohl die Aktion zuvor abgepfiffen worden war, brachte die Hauptstädter zurück ins Spiel: Die gingen nach einer Freiwurforgie nämlich nur noch mit einem 52:54-Rückstand in die letzte Viertelpause.
Die letzten zehn Minuten begannen aus 46ers-Sicht mit einem Schockerlebnis: Point Guard Lorenzo Williams, der bis dato glänzend Regie geführt hatte, kam bei einem Dreierversuch mit seinem rechten Fuß auf dem Fuß von Steffen Hamann auf, knickte um und blieb daraufhin mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Osthallenparkett liegen. Gestützt von Physiotherapeutin Antje Vetter und den Sanitätern des Deutschen Roten Kreuzes humpelte Williams wenig später in die Umkleidekabine. Auf das Feld konnte der 24-jährige US-Amerikaner nicht mehr zurückkehren. Ohne ihren kreativen Kopf und gegen einen defensiv im letzten Viertel deutlich zulegenden Gegner reagierten die Bogojevic-Schützlinge zunächst geschockt. Berlin ging mit 56:54 (33.) in Führung und zog sogar auf 62:56 (37.) davon.
Es war schließlich an, na klar: David Teague, wieder Lücken in die gegnerische Verteidigung zu reißen und für eine heiße und stimmungsvolle Endphase in der Osthalle zu sorgen. Mit zwei Durchbrüchen in die ALBA-Zone und sicher verwandelten Sprungschüssen brachte er die Weiß-Roten wieder auf 60:62 heran (38.). Bei einer 64:62-Führung in der Schlussminute hatten die Gäste die Chance, in Ballbesitz für die Vorentscheidung zu sorgen. Doch Max Weber, wie immer ein Vorbild an Einsatz und auch offensiv mit vielen guten Momenten, preschte in einen Pass von Dragan Dojcin auf Julius Jenkins, gewann den Sprint zum ALBA-Korb und sorgte unter dem ohrenbetäubenden Jubel der Zuschauer und trotz eines Fouls des zu spät gekommenen Dojcin bei einer Restspielzeit von 38 Sekunden für den 64:64-Ausgleich. Der Bonusfreiwurf verfehlte leider das Ziel. Dann war Zittern angesagt: ALBA hatte in den finalen Sekunden der regulären Spielzeit durch einen Offensivrebound zweimal die Gelegenheit, die Führung wieder an sich zu reißen, doch Dreier von Rashard Wright und Jenkins gingen daneben.
Stevan Tapuskovic eröffnete die Verlängerung mit einem Dreier zum 67:64. Auch Max Weber, Martin Kohlmaier und David Teague, inzwischen bei den Punkten 31 und 32 angelangt, machten klar, dass sie unbedingt einen Sieg einfahren wollten und bauten den Vorsprung auf 73:68 (43.) aus. Dann kam jedoch die große Zeit von Dragan Dojcin: Der 33-jährige serbische Forward netzte innerhalb von 75 Sekunden zwei Dreier und einen Mitteldistanzwurf ein und drehte die Partie damit im Alleingang (74:76). Als David Teague nach einer Auszeit im nächsten Angriff den Ball verlor, auf der Gegenseite Immanuel McElroy per Drei-Punkte-Spiel auf 79:74 erhöhte (36 Sek. Rest) und Tapuskovic sowie Teague im Anschluss mit ihren Versuchen, das Ergebnis nochmals zu verknappen, scheiterten, war die Entscheidung gefallen.
Punkteverteilung:
LTi GIESSEN 46ers: Jacovic (0), Williams (11), Johnson (4), Schläfer (n. e.), Kohlmaier (9), Christen (n. e.), Weber (6), Reed (0), Teague (35), Freese (6), Tapuskovic (3), Werner (2).
Beste Punktesammler bei ALBA Berlin: Chubb (20), Dojcin (17), Mc Elroy (12), Sekulic (11).
Trainerstimmen:
Vladimir Bogojevic: „Ich bin stolz auf meine Mannschaft, wie sie sich heute präsentiert hat. Die Verletzung von Lorenzo Williams tut uns weh. Wir werden sehen, was die morgigen Untersuchungen ergeben und hoffen, dass es nicht so schlimm ist. Dass, was wir trainiert haben, konnten wir heute weitgehend umsetzen. Wir haben es geschafft, den Ball nach innen zu bewegen und Martin Kohlmaier in unser Angriffsspiel einzubinden. Martin hat ansatzweise zeigen können, was er für uns zu leisten imstande ist. Ich bin immer noch voller Adrenalin; so mag ich die Osthalle, Kompliment an die Zuschauer für die tolle Unterstützung. Ich weiß nicht, woran es letztlich gelegen hat, dass wir verloren haben. In einer Phase in der regulären Spielzeit, als wir das Momentum auf unserer Seite hatten, hat ALBA viele Freiwürfe zugesprochen bekommen. Am Ende hatten wir – auch durch die personellen Probleme bedingt – kein Benzin mehr in unserem Tank.“
Luka Pavicevic: „Ich muss meinen Spielern zu diesem wichtigen Sieg gratulieren. Wir haben ein exzellentes Spiel gesehen und einen schwierigen Sieg errungen. In der Verlängerung haben wir uns bei fünf Punkten Rückstand in einer mental schwierigen Situation befunden, diese aber hervorragend gemeistert. Wenn man das ganze Spiel betrachtet, haben wir offensiv sicher zu viele falsche Entscheidungen getroffen. Wir wollen den Gegner schlagen, indem wir den gut Ball bewegen. Das haben wir heute nicht geschafft, wir haben es zu oft von außen probiert. Gießen hat mit Teague und Williams zwei starke Individualspieler. Wir wussten, dass sie ihr Team an guten Tagen offensiv tragen können.“
Am Sonntag Auswärtsauftritt in Düsseldorf
Wenn die LTi 46ers am Sonntag bei den Giants in Düsseldorf gastieren (Tip-Off um 17 Uhr im Burg-Wächter Castello), ist das zugleich der Saisonheimauftakt für die Giganten, die im neuen Spieljahr bislang lediglich zwei Begegnungen in der Fremde absolviert haben. Zeitgleich zu der Gießener 76:81-Overtime-Niederlage gegen Berlin musste sich Düsseldorf in Trier ebenfalls nach Verlängerung mit 84:87 geschlagen geben. Bereits am ersten Spieltag hatten die in der Saison 2008/2009 auf Platz zwölf eingelaufenen Rheinländer in Braunschweig eine 67:80-Pleite kassiert. Während die Braunscheiger in dieser Partie 13 von 25 Dreierversuchen trafen, war das nach wie vor von Achim Kuczmann trainierte Düsseldorfer Team lediglich bei 2 von 18 Wurfversuchen aus dem Drei-Punkte-Land erfolgreich. Dennoch warnt Bogojevic vor den gefährlichen Außenschützen der Giants. Nicht zu unrecht: In der Vorsaison war Düsseldorf hinter ALBA Berlin das zweitgefährlichste Team von jenseits der 6,25m-Linie (36,9% Trefferquote).
Im Sommer kam es zu drei personellen Veränderungen bei den Düsseldorfern: Mit dem athletischen Forward und BBL-Rückkehrer Koko Archibong (zuletzt Sopot/Polen, spielte aber auch schon in Bamberg, Berlin und Frankfurt) und Guard Bobby Walker (kam aus Lüttich/Belgien) wurden Neuzugänge ins Team geholt, die tragende Rolle einnehmen sollen und sowohl bei der Partie in Braunschweig als auch in Trier mehr als 30 Minuten zum Einsatz kamen. Der vornehmlich als Verstärkung für den Rebound verpflichtete Power Forward Jonathan Cox demonstrierte seine Stärke in Braunschweig und sammelte in 20 Minuten Spielzeit gleich einmal 8 Abpraller ein. Gegen die während des Spiels oft wechselnden Verteidigungsvarianten der Düsseldorfer wird es Bogojevic zufolge vor allem darum gehen, „dass wir im Angriff die Ruhe bewahren“.
Bilder: Mediashots Werbefotografie.