Er flog erst unter dem Radar der Talentscouts, dann durch die Hallen der Basketball-Bundesliga: Chuck Eidson war das Gesicht der Halbfinal-Mannschaft der GIESSEN 46ers in der Saison 2004/2005. Der US-Amerikaner wurde zum wertvollsten Spieler der Saison gekürt und schoss Köln im sagenumwobenen Spiel Fünf der Viertelfinalserie mit vierzig Punkten fast im Alleingang aus der Sauna. Eidson zahlte das Vertrauen der Gießener Verantwortlichen zurück und unterschrieb für eine weitere Spielzeit. Ein Kreuzbandriss in der Saisonvorbereitung zwang den Small Forward aber zur Zwangspause. Erst im Frühjahr 2006 feierte er sein Comeback.
Für ein Probetraining war Eidson im September 2004 an die Lahn gekommen. Erst nach einem 81:80-Sieg über den belgischen Erstligisten Bree nahm man ihn unter Vertrag. „Er kam ja von einer Knieverletzung zurück. Deswegen war er für uns auch für damalige Verhältnisse kostengünstig. Er hat von Anfang an bombenmäßig gespielt“, schwärmt mit Christian Maruschka der damalige Geschäftsführer der GIESSEN 46ers. Sein damaliger Trainer, der heutige MagentaSport-Kommentator Stefan Koch, soll ihn als den komplettesten Spieler der Vereinshistorie bezeichnet haben. „Man sagt ja oft daher, dass früher alles besser gewesen sei und sieht die Dinge zu nostalgisch“, so Maruschka weiter. „Bei Eidson ist das aber nicht so. In diesem Fall kann man auch im Nachgang sagen: Er war einfach überragend gut.“
Rückblick: Hinter den GIESSEN 46ers, die damals erst seit einer Saison diesen Namen trugen, lag ein schwarzes Jahr. Der erste Bundesligaabstieg konnte nur durch Insolvenzen von Hagen und Weißenfels abgewendet werden. Personell wurde kaum ein Stein auf dem anderen gelassen. Der neue alte Headcoach Koch setzte auf den Guard-Positionen auf ein blutjunges Duo bestehend aus Heiko Schaffartzik und Anton Gavel. Neben Eidson durfte mit Lou Campbell aufgrund der damaligen Ausländerregularien nur ein weiterer US-Amerikaner verpflichtet werden. Dieser kam vom Zweitligisten Paderborn an die Lahn.
Die Geschichte der Saison 2004/2005 wurde oft erzählt und soll auch hier nur verkürzt Erwähnung finden. Das Team war keine Eidson-One-Man-Show. Der Schwede Chris Anrin, der Brite Justin Phoenix und das erwähnte Guard-Duo avancierten häufig zu den Topscorern des Spieltags. Dreh- und Angelpunkt der Mannschaft, die mit 18 Siegen die Playoffs als Tabellensechster erreichte, blieb aber Eidson. Mit einer Effizienzquote von 19,0 legte der damals 24-Jährige die Messlatte so hoch, dass sie teamintern erst von John Bryant getoppt werden sollte. Mit 3,3 Assists war Eidson Vorlagengeber Nummer eins der Mittelhessen. 2,6 Steals waren sogar der Ligabestwert.
Desto größer wog die Freude, als bereits im Dezember 2004 die frühzeitige Vertragsverlängerung für die folgende Spielzeit verkündet werden konnte. Maruschka sprach von einem positiven „Zeichen für den Club, die Anhänger und das Umfeld, dass bei den 46ers langfristig etwas heranwachsen kann. Unserer Meinung nach kann es für Chucks Entwicklung nur von Vorteil sein, wenn er sich bei uns über diese Saison hinaus als Führungsspieler beweisen kann.“ Heute fügt der ehemalige Manager hinzu, dass der US-Amerikaner im Sommer haufenweise besser dotierte Angebote bekam. Mit dafür verantwortlich war der grandiose Playoff-Run, der mit der Viertelfinalserie gegen Köln startete. Dort waren es erneut homogene Teamleistungen, die zu Heimsiegen über die Rheinstars führten. Unfassbare 29 Punkte markierte Chuck im Schnitt, bevor sein 40-Punkte-Spiel in der Sauna zu Köln Superlative setzte. Als der Sieg eingetütet war, ließ Eidson den Spielball mit Urwucht aufschlagen und tanzte übers Parkett, das wenig später von hunderten Fans gestürmt wurde.
Da neben dem Leader auch andere wesentliche Bestandteile des Erfolgsteams in Gießen blieben, schien die Zukunft rosig für den mittelhessischen Basketball. Am 14. September folgte im schwäbischen Gerlingen dann die Katastrophe. Bei einem Testspiel gegen Ludwigsburg knickte Eidson während eines Fastbreak-Anspiels von Gavel um und ging schreiend zu Boden. „Mein erster Gedanke war, dass ich den Pass nicht hätte spielen sollen“, sagte Tono zwei Wochen später. Die Diagnose: Kreuz- und Innenbandriss. Eine Rückkehr von Eidson schien vor dem Frühjahr unmöglich. „Wir müssen für Chuck spielen“, gab Gavel die neue Marschroute aus und ging selbst mit bestem Beispiel voran, führte sein Team und reifte zum Leistungsträger.
Eidson nahm humpelnd und unter den stehenden Ovationen der Osthalle die MVP-Trophäe entgegen. Danach stand eine mehrmonatige Reha auf dem Programm. Anfang März feierte Eidson in Karlsruhe sein Comeback. Gegen Trier markierte er am vorletzten Spieltag 41 Punkte: Eine Leistung, die in der gesamten BBL-Geschichte nur 18-Mal übertroffen wurde. Sein Talent ließ Fans und Journalisten immer wieder über einen Wechsel in die NBA spekulieren. Eidsons Zukunft lag aber in der Euroleague, die er mit Vilnius, Maccabi Tel Aviv, dem FC Barcelona und bis 2014 UNICS Kasan gehörig aufmischte. Seine erste Auslandsstation nach dem Verletzungsjahr war mit SIG Straßbourg allerdings eher eine graue Maus der französischen Liga. Im Herbst 2006 machten sich rund 30 46ers-Fans auf den Trip in die deutsch-französische Grenzstadt. Eine Niederlagenserie zu Saisonbeginn hatte die Nostalgie an bessere Tage binnen kürzester Zeit angefacht. Die mitgereisten Fans wurden nicht enttäuscht. Eidson hatte maßgeblichen Anteil an dem Heimsieg seiner Farben gegen Cholet – und fuhr seinerseits mit Ehefrau Samantha einen Tag später nach Karlsruhe, wo die 46ers ihrem nächsten Saisonspiel entgegensahen.
Während Chuck Eidson in den Folgejahren berühmter und besser wurde, als es sich selbst seine eifrigsten Anhänger ausgemalt hätten, schwand die Hoffnung auf eine Rückkehr an die Lahn im „hohen“ Basketball-Alter nie komplett. Stattdessen hängte Chuck seine Sneaker 2014 an den Nagel. Maruschka und seine Familie haben noch heute Kontakt mit Eidson. Sein Sohn zockte an jener High-School, an der Eidsons Vater als Basketball-Trainer arbeitet, mit Chuck persönlich im Sommer vorletzten Jahres. Seit seinem Karriereende lässt er die Dinge ruhiger angehen, pflegt das Familienleben. „Genug verdient hat er ja“, lächelt Maruschka und ist sich gleichzeitig gewiss, dass Eidson über kurz oder lang beruflich wieder mit Basketball zu tun wird.
Text: Sebastian Kilsbach