(Foto: Michael Schepp)

Die Tafel Gießen startet mit Lieferdienst – JobStairs GIESSEN 46ers unterstützen aktiv – ein Erfahrungsbericht

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Die Tafel Gießen musste aufgrund der Ausbreitung der Corona-Pandemie die Ausgabe von Lebensmitteln an bedürftige Menschen vorübergehend einstellen. Aber was tun, wenn man weiß, dass viele Menschen in der Stadt auf die Unterstützung angewiesen und finanziell nur schwer oder gar nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen? Zudem gehören viele der Menschen, die Lebensmittel über die Tafel beziehen, zur sogenannten Risikogruppe und sind somit dazu aufgerufen, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Ein Anruf mit der Frage nach Unterstützung ereilte die Geschäftsstelle der JobStairs GIESSEN 46ers und schnell war klar, dass wir einen kleinen und sehr großen Beitrag leisten würden. Ein Erfahrungsbericht von Anne Leinweber (Management ProB/ JobStairs GIESSEN 46ers).


Als wir vor zwei Wochen von unserem Sozialpartner, „Die Tafel“, darüber informiert wurden, dass sie ihre Unterstützung in Form eines Lieferbetriebs am 07. April wieder aufnehmen wollen und Personen suchen, die eine von zwei Liefertouren an dem Tag unterstützen können, war für uns klar, dass wir hier nach Möglichkeit einspringen werden. Im Rahmen der Partnerschaft haben die JobStairs GIESSEN 46ers bereits in der Vergangenheit viele, gemeinsame Aktionen durchgeführt; sei es bei Heimspielen in der Sporthalle Gießen-Ost oder in Form von aktiver Unterstützung bei der Ausgabe von Lebensmitteln durch Mitarbeiter der Geschäftsstelle und Spielern.

Wir besprachen uns intern über die Vorgehensweise und entschieden, das Angebot von John Bryant, der mit seiner Frau und den beiden Jungs weiterhin in Gießen ist, anzunehmen und ihn um Unterstützung in der Sache zu bitten. Er hatte uns im Zuge seiner Gespräche rund um Trainings-/Saisonende immer wieder seine Hilfe angeboten. Also verabredete ich mich mit John am Dienstagnachmittag an der Ausgabestelle der Tafel in der Weststadt. Dort mit Mundschutz und Handschuhen ausgerüstet, erhielten wir eine Einweisung in die geplante Ausgabe der Lebensmittel für die Personengruppe alleinstehende Ü70 Jahre alte Menschen, die Lebensmittel über die Tafel beziehen. Diese wurden vorab telefonisch über den Lieferdienst informiert und sollten die Lebensmittel an den Haustüren entgegennehmen, nachdem wir geklingelt hatten.

Als wir bei der Tafel ankamen, waren die Kisten schon fertig gepackt, die zweite Schicht an Helferinnen und Helfern bereits gegangen und der kleine Kühllaster im Hof desinfiziert und startklar. John und ich bekamen eine Routen-Liste mit Adressen und die Schlüssel zum Auto. John wollte gerne Co-Pilot sein, also stieg ich hinter`s Steuer (Schaltgetriebe) und wir fuhren gemeinsam los. Glücklicherweise gab es ausreichend viele, mittelgroße Handschuhe, die John der Reihe nach zwar zum Bersten brachte, die aber immer kurz ihren Lieferdienst erfüllten.


Zeigt: Anne Leinweber & John Bryant (Quelle: Michael Schepp)

Wer die kleinen Straßen und Wege in der Weststadt, rund um die „Gummi-Insel“ kennt, weiß, dass das keine leichte Aufgabe war. Auch wenn wir „nur“ zwölf Straßen und eine DIN A4-Seite voll Menschen anfahren mussten, kamen wir ein paar Mal ganz schön in`s Schwitzen und mussten shortcuts durch Hecken und von Innenhof zu Innenhof zu Fuß zurücklegen, weil wir mit dem Laster nicht direkt vorfahren konnten. John war nicht nur als Navigator (Co-Pilot) eine große Hilfe – konnte er easy zwei, drei Kisten auf einmal packen, während ich nur eine schaffte. An der ersten Tür angekommen, wurden wir bereits auf dem Balkon erwartet und als wir klingelten und uns an der Sprechanlage als „Die Tafel“ zu erkennen gaben, kam die Person freudestrahlend nach unten zur Haustür gelaufen, um die Ration Lebensmittel für eine Woche entgegenzunehmen. Die Tafel hatte zu einer freiwilligen Spende bei Lieferung aufgerufen und die Leute waren alle froh und stolz, ihre paar Münzen in einen extra dafür vorgesehenen kleinen Beutel zu werfen.

Wir fuhren weiter und suchten unseren Weg durch das Weststädter Nadelöhr, waren uns beide dahingehend einig, dass der Laster einfach automatisch immer Vorfahrt hat und sowieso überall kurz halten darf und wechselten im 10-Minuten-Takt Handschuhe. An der nächsten Station mussten wir uns den Weg durch ein großes Treppenhaus ganz nach oben bahnen, weil der Mann, den wir beliefern sollten, physisch nicht in der Lage war, nach unten zu laufen und die Lebensmittel entgegenzunehmen. Als der alte Mann die Wohnungstür einen Spalt weit öffnete und „Big John“ mit der grünen Kiste und Mundschutz erblickte, schlug er ganz erschrocken die Tür wieder zu und rief von drinnen „danke, danke aber bitte gehen Sie!“ das brachte mich zum Lachen und John zunächst zum Zweifeln als er sagte, dass er vielleicht nicht die beste Wahl war, um mit zu verteilen, weil die Leute offensichtlich Angst vor ihm haben. Da konnte ich ihn beruhigen, denn bereits an der nächsten Adresse wurden wir wieder freudestrahlend schon auf dem Balkon erwartet und der Mann kam sogar mit einem kleinen Wägelchen nach unten, um seine Kiste abzuholen. Und so fuhren wir von einem Haus zum nächsten; manchmal trafen wir die Menschen, die wir beliefern sollten und manchmal hörten wir nur ihre Stimmen durch die Sprechanlage. Eine Frau weinte, als sie die Kiste im Hausflur entgegennahm, eine andere hatte eine Art Regal vor ihrer Wohnungstür installiert, wo offensichtlich alles Benötigte in den vergangenen Wochen einfach abgelegt wurde, weil sie die Wohnung aus Angst vor einer Infizierung überhaupt nicht verlässt.

Die eigentliche Herausforderung bestand darin, den Spagat zwischen Distanz und Dienst zu halten – nicht alle waren in der körperlichen Verfassung, ihre Kiste – wie verabredet – an der Haustür entgegenzunehmen und die Lebensmittel eigenständig in die Wohnung zu tragen. Hier mussten John und ich – meistens ich, weil ich kleiner bin und besser mit Kisten in enge Fahrstühle passe – dann immer abwägen, ob man jetzt doch in das Haus reingeht und sich den Menschen durch Türschlitze nähert oder eben nicht. Wir waren beide zum Glück gut geschützt und so ausgestattet, dass wir auch alle anderen schützen konnten.

Zeigt: John Bryant (Quelle: Michael Schepp)

Viele der Menschen, die wir entweder durch die Sprechanlage oder eben doch persönlich antrafen, erwarteten uns bereits sehnsüchtig und freuten sich sehr über die Kiste, die ihnen eine Woche lang keine Sorgen im Hinblick auf die Sicherstellung ihrer Ernährung machen müssen. Ich bin froh, sagen zu können, dass wir das im Zweier-Team gut gemeistert haben und bis auf zwei Personen, die nicht anzutreffen waren, alle Menschen ihre Lebensmittel erhalten haben.

John und ich sprachen kein einziges Mal über Basketball, sondern viel über seine Eltern, die in den USA leben, und darüber, wie froh er ist, zu wissen, dass seine beiden Brüder in der Nähe der Eltern wohnen und sich auch um sie kümmern können. Auch darüber, dass sein Bruder als Police Officer gerade hochgradig gefährdet ist, sich zu infizieren, weil er seinen Dienst natürlich weiterhin auf der Straße und unter Menschen ableistet. Auch hier helfen, wie bei allen anderen Menschen auch, FaceTime und alle anderen Mittel und Wege der modernen Kommunikation, um sich über die große räumliche Distanz auszutauschen und diese Zeit als Familie gemeinsam durchzustehen.

John Bryant: „Auch für mich war das eine tolle Erfahrung. Ich habe nicht überlegen müssen, als Anne mit meiner Frau und mir sprach und fragte, ob ich die Aktion der JobStairs GIESSEN 46ers mit der Tafel unterstützen würde. Es ist eine herausfordernde Zeit für alle. Ich habe das große Glück, dass meine Familie und ich gesund sind und darüber hinaus, dass ich mir mit dem Sport, den ich liebe, über viele Jahre eine gute, abgesicherte Situation erarbeiten konnte. Daher fand ich es schön, in einer Zeit wie dieser ein kleines bisschen zurückgeben zu können. Die Eindrücke von dem Nachmittag bleiben in jedem Fall.“

Die Eindrücke waren viele. Viele fröhliche, viele bedrückende. Beeindruckend waren alle.

Wir waren uns beide einig, als wir nach drei Stunden Lieferdienst geschwitzt und mit 25 Paaren, kaputten Handschuhen im Laster saßen, dass wir froh sind, den Nachmittag so verbracht zu haben. Auch wenn es nicht einfach war, ist es ein gutes Gefühl, wirklich etwas getan zu haben. Für andere, die nicht in so einer komfortablen Situation sind und die diese Zeit unfassbar viel schwerer durchstehen müssen, als man selbst. Das ist das, was bleibt und das ist auch der Dank, den wir beide bei unserer Rückkehr zur Tafel, den Verantwortlichen dort zum Ausdruck bringen konnten – Dankbarkeit dafür, dass es Menschen gibt, die sich für andere einsetzen und Dankbarkeit dafür, dass wir an diesem Nachmittag ein kleiner (und sehr großer) Teil davon sein durften. Die Tafel kann auch in Zukunft auf die JobStairs GIESSEN 46ers zählen.

Als wir die Tafel verließen, kam eine Frau mit einem „Big John“-T-Shirt zu John an`s Auto und war ganz aufgeregt, weil sie uns, nachdem sie ihn entdeckt hatte, wer weiß wie lange, mit dem Fahrrad gefolgt war, um das Shirt für ihren Sohn signieren zu lassen. John unterschrieb das Shirt und mir wurde klar, dass „Big John“ in den vergangenen Stunden vollkommen inkognito unterwegs gewesen war. Niemand hatte ihn angesprochen oder fotografiert. Wir waren nicht „von den 46ers“ und John war kurz nicht der Basketballer, der er ist. Wir waren einfach nur Anne und John und haben Lebensmittel für diese Menschen ausgeliefert. Und das ist alles, was zählt.

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