Basketball in Gießen auf höchstem nationalem Niveau spielen lassen zu können, dahinter steckt seit vierzig Jahren viel Arbeit. Auf dem Spielfeld wie hinter den Kulissen. Hin und wieder jedoch braucht es auch ein wenig Glück, um ganz oben mit dabei zu sein. 1977 war es, als Fortuna sich wieder einmal um den Basketball in Gießen kümmerte.
Lebensmittelpunkt wieder weiter nach Süden verlagern. Eigentlich lautete Karlsruhe sein Ziel. Aber dann hörte er von einer vakanten Stelle in Gießen, bewarb sich und wechselte statt ins Badische an die Lahn. Der MTV 1846 Gießen spukte ihm bei seiner Entscheidung allerdings kein Stück durch den Kopf. Zwar hatte der frühere Schwimmer, Spitzen-Handballer in Leutershausen, Spitzen-Basketballer in Heidelberg (Neumann: „In einem Jahr bin ich mit dem USC Heidelberg deutscher Meister und mit Leutershausen Vizemeister geworden“) auch in Braunschweig im Nebenjob den MTV Wolfenbüttel gecoacht. Doch in Gießen stand sein Sinn nicht sofort wieder danach, tagsüber Vorlesungen zu halten und abends zu trainieren.
Doch Hannes Neumann war noch nicht richtig in seine Räume im sportwissenschaftlichen Institut am Kugelberg eingezogen, da stand schon MTV-Manager Heinz-Ewald Hirsch auf der Matte und packte das Glück beim Schopf. Und natürlich ließ sich der Sportprofessor und leidenschaftliche Basketballer Neumann nicht lange bitten. Zur Saison 1977/78 übernahm er das sportliche Kommando. Zehn Monate später feierte der MTV 1846 Gießen seine fünfte deutsche Meisterschaft. Die besondere Note von Professor Hannes Neumann war dabei seine Mischung aus wissenschaftlich fundierter Trainingsarbeit, Schlitzohrigkeit im Coaching und seiner besonderen Nähe zu den Spielern. Er war nie nur sportlicher Vorgesetzter, sondern immer auch Kumpel, Ratgeber, Pädagoge. Selten endete ein Trainingsabend, ohne dass die Spieler gemeinsam mit ihrem Trainer noch auf einen Schoppen ins Vereinsheim, in die Brauhausschänke oder die Käsekiste gingen.
Ein Jahr später feierte Neumann mit der Mannschaft um Hans Heß, Bobby Minor, Ted Hundley, Dr. Ampt, Ingo Froese, U. Strack, Roland Peters, Matzi Strauß, Ebi Bauernfeind, Roland Bedarf und Günter Lindenstruth noch eine Vizemeisterschaft und den Pokalsieg. Dann endete Neumanns erste Zeit als Trainer beim MTV, die am Ende auch von Meinungsverschiedenheiten mit dem zwischenzeitlich die Geschicke leitenden „Basketball-Bundesliga-Organisationsteam“ (BBOT) geprägt war.
Er wechselte nach Berlin, wurde mit den dortigen Basketballern des DTV Charlottenburg Vizemeister, kam wieder nach Gießen. Ließ sich erneut überreden, eine Mannschaft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu übernehmen, beendete sein Engagement vorzeitig, widmete sich ganz der Arbeit in Forschung und Lehre, kam in den neunziger Jahren noch einmal an Bord, um eine dann schon sehr von Legionären geprägte Truppe zum Erfolg zu führen. Nach einer Auseinandersetzung mit dem US-Spieler Douglas Roth allerdings nahm Neumann endgültig seien Hut und beendete seine bemerkenswerte Trainerkarriere beim MTV 1846 Gießen.
Unvergessen bleiben seine Erfolge, unvergessen aber auch seine zum Teil unorthodoxe Methodik. Da holte Trainer Neumann schon mal einen kognitiv begrenzten Spieler im Trainingslager zu sich an den Frühstückstisch, baute mit Würfelzucker die Verteidigungsformation am Kaffeetisch auf, tunkte dann einen weiteren Zuckerwürfel in seinen Kaffee und legte ihn dazu. Auf die Frage des Spielers, was das zu bedeuten habe, antwortete Neumann lakonisch: „Das ist deren (dunkelhäutiger) Ami. Den deckst du.“
Auch Gattin Uta und die Söhne Stefan und Heiko mussten immer mal wieder herhalten, um sich mit Eierbechern, Salz- und Pfefferstreuern die Taktik erklären zu lassen. Neumann. „Dann wusste ich wenigstens wie ich es den Spielern erklären konnte, wenn meine Familie Fragen stellte.“ Auch wenn er immer ein Trainer mit Ecken und Kanten war, an dem sich manch ein Spieler und Funktionär rieb, blickt der heute 67-jährige und immer noch am Kugelberg lehrende Professor auf seine Osthallenzeit nur mit den besten Erinnerungen zurück. Und viele, die schon damals in die Osthalle gingen, erinnern sich daran, dass Hannes Neumann ein echter Glücksfall für Basketball-Gießen und den MTV 1846 war.
Text: Wolfgang Lehmann