Guido Heerstraß ist seit exakt 100 Tagen Geschäftsführer der GIESSEN 46ers
Die so genannte „100-Tage-Schonfrist”, die jeder neuen Regierung von Seiten der Opposition und der Medien eingeräumt wird, um sich in ihre Aufgabe einzuarbeiten, gehört zu den Gepflogenheiten des politischen Betriebs. Nach Ablauf der Zeitspanne ist es üblich, eine erste Bilanz darüber zu ziehen, wie der Regierungsauftakt ausgefallen ist. Der Begriff geht ursprünglich zurück auf jene 100 Tage zwischen dem 1. März und dem 18. Juni 1815, in denen Kaiser Napoleon nach seiner Rückkehr aus dem Exil auf der Insel Elba erneut die Macht in Frankreich an sich gerissen hatte, bis Briten und Preußen in der Schlacht bei Waterloo seiner Herrschaft endgültig ein Ende setzten. Zu einer politischen Schonfrist wurden die 100 Tage, als US-Präsident Franklin D. Roosevelt Anfang der 1930er-Jahre verkündete, seine Wirtschaftsreformen des „New Deal” bräuchten 100 Tage, um erste Erfolge hervorzubringen. An diesem Freitag, wenn die GIESSEN 46ers um 20 Uhr zum Gipfeltreffen der BARMER 2. Basketball-Bundesliga Science City Jena empfangen, ist Guido Heerstraß genau 100 Tage Geschäftsführer des Altmeisters. Es wird also Zeit, mit dem 57-Jährigen Bilanz zu ziehen.
Guido, du bist inzwischen schon 100 Tage im Amt. War es der richtige Schritt für dich, nach Gießen zu kommen?
Ja, auf jeden Fall. Mir gefällt es hier sehr gut und es gibt jede Menge zu tun. Daraus ergeben sich auch zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten, vor allem in den Bereichen Marketing und Vertrieb. In welche Richtung es geht, werde ich mit den Gesellschaftern noch besprechen, aber ich verspüre ein sehr gutes Potenzial für Gießen und die Region Mittelhessen. Deshalb müssen wir versuchen, alle zu begeistern.
Du bist eigentlich Handballer. Hat dich der Basketball mittlerweile auch infiziert?
Auch hier muss ich eindeutig ja sagen. Der Handball ist ja schon schnell und bei engen Spielen ist der Ausgang offen. Aber im Basketball ist alles noch viel schneller und das Match quasi bis zur letzten Sekunde spannend. Selbst wenn du mit zehn bis 15 Punkten führst, heißt das noch lange nicht, dass du das Spiel gewinnst. Das ist meiner Meinung nach das Besondere am Basketball, und das gefällt mir.
Und vor allem: Wie angetan bist du von der Osthalle? Nicht architektonisch, sondern stimmungs-technisch …
Naja, obwohl die ersten Spiele nicht so gut besucht waren, war die Stimmung schon ziemlich gut. Ich freue mich schon, wenn jetzt immer mehr Zuschauer kommen und ich bin gespannt, wie dann die Atmosphäre sein wird. Die Halle ist ohne Frage in die Jahre gekommen, aber sie bekommt ihren Charme mit den Zuschauern und unseren Fans. Ich hoffe, dass ich die Halle nochmal in dieser Saison beben sehe. Die Jungs auf der Platte brauchen die Unterstützung, sie haben es sich nach den letzten starken Auftritten auch verdient.
Der Berg an Aufgaben bei den 46ers war für dich von Anfang an hoch. Höher, als du erwartet hast?
Es sind viele große Themen alle auf einmal zusammengekommen. Da war es für mich klar, dass der Start nicht einfach wird und die Herausforderungen, sagen wir mal, groß sind. Wir benötigen aber alle etwas Geduld, da die Aufgaben nur schrittweise abgearbeitet werden können. Wie man so landläufig sagt, „ein Kloß nach dem anderen.“ Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir uns in die richtige Richtung entwickeln werden, nicht nur sportlich. Wir werden die richtigen strukturellen Weichenstellungen für eine erfolgreiche Zukunft vornehmen.
Wenn du auf die ersten 100 Tage zurückblickst: Was gilt für dich als erledigt, als abgearbeitet?
In 100 Tagen lässt sich nun wirklich nicht alles abarbeiten. Vor allem, wenn so wichtige Veränderungen im Umfeld stattgefunden haben. Ich würde schon sagen, dass wir uns schrittweise weiterentwickeln, aber immer noch in einer gewissen Findungsphase stecken. Das ist aber alles normal und wird sich mit jedem Tag verbessern. Wichtig ist, dass wir uns personell wieder besser aufstellen und uns ab Januar verstärken werden. Diese Power hat uns zuletzt gefehlt, das wird aber in Zukunft wieder besser. Im Bereich Social Media haben wir uns bereits verstärkt, da ich diese Aufgaben als ein ganz wichtiges Instrument im Sport empfinde. Dies wurde von unseren Fans bereits positiv registriert, wir hatten da viele positive Rückmeldungen. Gut ist auch, dass wir bereits diverse Fan-Aktionen umsetzen konnten. Hier möchte ich beispielhaft den Fan-Stammtisch nennen, der wirklich gut angekommen ist und der auch auf jeden Fall wiederholt werden wird. Hinzu kommen noch weitere Aktionen mit der Universität für die „Erstis“ oder wie diese Woche das Mittagessen mit Spielern in der Mensa. Das macht uns nahbar, die 46ers erlebbar und sorgt hoffentlich auch für künftig wieder mehr Interesse an uns und am Basketball.
Und welche Aufgaben haben für dich in den kommenden Wochen Priorität?
Mein Ziel ist es, dass wir uns in allen Bereichen wie Marketing, Vertrieb, in der Organisation sowie in den Finanzen verbessern und damit auch für eine Kontinuität bei unseren Partnern, Zuschauern sowie Fans sorgen. Wenn wir auf der Geschäftsstelle alle an Bord sind, wird das auch so sein. Wir haben quasi in allen Bereichen Luft nach oben, deshalb möchte ich nicht einen einzelnen Punkt herausgreifen. Wir haben bereits einige Aktionen umgesetzt, weitere werden folgen.
Du hast inzwischen eine Unterkunft in Gießen gefunden …
Ja, ich habe ein Zimmer in Gießen, sehr zentral gelegen. Ich bin sehr zufrieden. Das gibt mir die Möglichkeit, die Stadt richtig kennenzulernen.
An deinem – sagen wir mal: „Jubiläumstag“ – empfangen die 46ers Tabellenführer Jena. Was erwartest du von der Partie?
Das ist ein richtiges Spitzenspiel, auf das ich mich freue. Es wird die nächste Herausforderung für unsere Mannschaft sein, ich bin gespannt, wie sie diese Aufgabe meistern. Mal unabhängig von dem Ausgang des Spiels ist es wichtig, dass sich das Team in eine gute Form spielt und dann in den Playoffs, die wir hoffentlich erreichen, hellwach ist.
Und wie wird die Mannschaft am Ende der Saison abschneiden?
Tja, mit solchen Prognosen bin ich immer vorsichtig. Ich habe das schon zu oft als Spieler oder auch im Management miterlebt, dass immer alles möglich ist. Für einen größtmöglichen Erfolg muss alles passen: eine gute Mannschaft, eine gute Organisation, keine Verletzungen und nicht zuletzt auch eben das Quäntchen Glück.
Zum Schluss das, was alle Anhänger brennend interessiert: Spielen die GIESSEN 46ers bald wieder in der BBL oder auf Dauer in der ProA?
Das ist einfach noch zu früh, um das seriös zu beantworten. Die Partner und Fans können aber versichert sein, dass Gesellschafter, Geschäftsführer, Trainer und das gesamte Team den größtmöglichen Erfolg wollen. Dafür machen wir diesen Job.