Hollywoodreifer Spannungsbogen ohne Happy End für die Depant GIESSEN 46ers Rackelos: Im dritten Spiel der Viertelfinalserie gegen die ROSTOCK SEAWOLVES kämpften sich die Mittelhessen vor über 800 Fans nach zweistelligem Rückstand zurück in die Partie und führten ihrerseits drei Minuten vor dem Ende mit zehn Zählern. Die norddeutschen Gäste kämpften sich jedoch zurück, glichen aus und hatten mit Dennis Teucher einen der ihren an der Freiwurflinie stehen, der bei nur noch Hundertstelsekunden verbliebener Restspielzeit die Entscheidung erzwingen konnte. Nur ein technisches Foul gegen die Rostocker Bank verknüpft mit einem sitzenden Freiwurf Bjarne Kraushaars sicherten die erste Overtime. In dieser hielten die Rackelos trotz geringer werdender Kraftreserven gegen Bill Borekambi (27 Punkte, 13 Rebounds) und Co. dagegen: Tatsächlich hatte Dennis Mavin bei noch zwölf zu gehenden Sekunden an der Freiwurflinie die Chance, das 78:79 aus Gießener Sicht in einen Sieg zu verwandeln. Leider saß nur ein Strafwurf, weshalb die Teams der zweiten Verlängerung entgegensahen. In einem epischen Ringen waren es erst fünf Punkte Brandon Lockharts, die Gießen in der Schlussminute ums Halbfinale bringen sollten.
„Mit einer Partie, die tollen Basketball geboten hat, haben wir uns aus den Playoffs verabschiedet“, befand Cheftrainer Rolf Scholz direkt nach Spielende. „Dass es jetzt weh tut, ist völlig normal. Einige Spieler brauchen vielleicht zwei Tage, andere etwas mehr. Das ist ein gesundes Maß an Enttäuschung. Insgesamt können wir aber auf eine starke Runde zurückblicken.“ Dabei dankte Assistenzcoach Lutz Mandler insbesondere Umfeld und Fans: „Die Verantwortlichen haben uns toll den Rücken freigehalten. Von den Tribünen haben wir vermittelt bekommen, dass Basketball-Gießen die Rackelos angenommen hat. Das erfüllt uns zusätzlich mit Stolz.“ Für die siegreichen Rostocker geht es im Halbfinale nun gegen die Iserlohn Kangaroos. Der zweite Finalist wird zwischen Schalke 04 und den scanplus baskets aus Elchingen ermittelt.
Das Gießener Spiel war in der Anfangsphase von Nervosität geprägt, weshalb die Gäste einen ersten 8:2-Vorsprung aufs Tableau brachten. Mavin wurde wenig später harsch von zwei Rostockern gedoppelt, machte aus der Not jedoch eine Tugend und spielte Nick Hornsby an, der einen tiefen Notdreier mit der Sirene traf. Via No-look-Pass war es erneut Mavin, der Leon Okpara in Szene setzte. Kraushaar wirbelte durch die Zone seines Gegners und legte nach Spin-Move zur ersten Führung ab (11:10, 6. Spielminute). Tief ins Gesicht von Chris Frazier reuste Okpara anschließend einen Dreier. Danach kam jedoch ein Bruch ins Spiel der Mittelhessen, weshalb die SEAWOLVES zur Viertelpause mit 19:14 in Front lagen.
Obwohl Mavin von Downtown die ersten Punkte des zweiten Abschnitts erzielte, verstrickten sich die 46ers zunehmend in Ballverluste, zugelassene Offensivrebounds und schlechte Abschlüsse. In einer kampfbetonten Partie mit vielen Fahrkarten auf beiden Seiten bedurfte es zwei Gießener Auszeiten in der 12. und 16. Spielminute, bevor die bereits zweistellig zurückliegenden Gastgeber eine Schippe drauflegten. Angeführt von Kraushaar und Mavin, die wiederholt mit Karacho die Rostocker Zone penetrierten, blieben die Lahnstädter auf Tuchfühlung. Auf der Gegenseite lief jedoch einmal mehr Borekambi heiß, dessen Team daher mit einem 36:28 in die Halbzeitpause gehen durfte.
Im besten Gießener Viertel rührten die 46ers in der Defensive Zement an, produzierten Stops am Fließband und kämpften sich Punkt für Punkt heran. Symptomatisch für den an den Tag gelegten Biss war Mavin, der vorne zwar beim Dreierversuch patzte, danach jedoch sofort in die Verteidigung zurückeilte und einen Touchdownpass Jordan Talberts abfing. Der US-Amerikaner ging zum Gegenangriff über und fand im Fastbreak den frei am Perimeter lauernden Nick Hornsby, der das 36:38 markierte. Analog zum ersten Viertel spielte Mavin aus einer Double-Team-Situation heraus den frei lauernden Kraushaar an. Statt sein Glück aus der Distanz zu versuchen, zog der 18-Jährige zum Korb und bediente Alen Pjanic per Alley-oop-Pass. Sein Dunk bedeutete die erste Führung seit der dritten Spielminute (43:42, 28.).
Sie sollte bis zum Auftakt des vermeintlichen Schlussabschnitts anhalten, in den die 46ers mit einem 49:47 gingen. Intensivierte Verteidigungsbemühungen forcierten Turnover, während Punkte in Brettnähe den Abstand vergrößerten: Zunächst versenkte Okpara einen schweren Layup. Danach verdingte sich Marian Schick zunächst als Ballverteiler und bediente Lischka. Per Dreier erhöhte der Centerhüne viel umjubelt zum 56:47. Rostock warf nach einer Auszeit alles in die Waagschale und bot den 46ers einen Playoffkampf, der sich gewaschen hatte. Auf Höhe der Mittelinie beging Frazier schließlich das bereits fünfte Teamfoul, weshalb Kraushaar an die Linie gehen und zum 59:51 erhöhen durfte (35.). Per Fastbreakkorbleger schraubte Mavin die Führung bei drei verbliebenen Minuten gar auf 65:55.
Eine Vorentscheidung war damit noch nicht gefallen. Während die Seewölfe Punkt für Punkt gut machten, handelte sich der emsig arbeitende Schick sein fünftes Foul ein. Den im Offensivrebound schon zuvor überlegenen Rostockern spielte dies in die Karten. So krallte sich Lockhart in der Schlussminute ein Brett und legte auf Teucher vor, der mit Autorität zum 64:65 dunkte. Auf der anderen Seite zog Mavin das fünfte Foul von Darian Cardenas, versenkte aber nur einen fälligen Strafwurf. Frazier verwarf bei noch zehn Sekunden auf der Uhr zwar aus der Dreipunktedistanz. Borekambi fischte sich jedoch einen seiner vier Offensivrebounds und erzielte per Layup den Ausgleich.
Der Ball ging im vermeintlich finalen Play zu Lischka, der die Murmel jedoch an Frazier herschenkte. In turbulenten Schlusssekunden beging Pjanic ein Foul an Teucher, der an der Freiwurflinie alleine über den Ausgang des Spiels entscheiden konnte und seinen ersten Versuch versenkte. Euphorisiert liefen Teile der Rostocker Reservisten bereits aufs Spielfeld, von wo sie Co-Trainer Andreas Barthel einzufangen versuchte. Am technischen Foul gegen die Bank ändert dies freilich nichts. Da Teucher den zweiten Freiwurf liegen ließ, dafür aber Kraushaar auf der Gegenseite Nerven aus Stahl bewies, retteten sich die 46ers in die Verlängerung.
Angeführt von den Youngstern Pjanic und Kraushaar boten die 46ers ihrem Gegner Paroli. Ein tiefer Dreier Fraziers zum 77:73 (45.) bedeutete so noch nicht das Ende. Stattdessen versenkte Pjanic einen Korbleger trotz Foul und traf auch den fälligen Bonusfreiwurf. Obwohl Lockhart die Führung zurückeroberte, bewiesen die Gastgeber gutes Zeitmanagement: Auf einen schnellen Abschluss bedacht verkürzte Mavin bei noch 36 Sekunden auf 78:79, weshalb die Gießener mit einem weiteren Ballbesitz rechnen durften. Nach einem generierten Stop schickten die SEAWOLVES Mavin an die Linie, von wo der aus Marokko an die Lahn gewechselte Guard den Ausgleich erzielte, die Führung aber verpasste.
In einer Abnutzungspartie mit offenem Ausgang war es Talbert, der von jenseits des Perimeters einen empfindlichen Nadelstich zu setzen verstand (84:81, 47.). Da Borekambi nach Steal und Fastbreak nachlegte, schien das Schicksal der 46ers bereits besiegelt. Fünf Punkte von Pjanic ließen dann aber wieder die mittelhessischen Anhänger hoffen. Mit insgesamt 20 Zählern brachte der 21-Jährige seine Karrierebestleistung aufs Parkett. Im direkten Gegenzug kam Lockhart in Brettnähe zu Zählern. Nach einem Turnover Hornsbys, der mit der Sohle im Aus stand, versetzte Lockhart dem Liganovizen den finalen Punch: Sein Dreier zum 91:86 bei nur noch fünfzehn Sekunden touchierte nichts als Nylon. Die anschließenden Körbe blieben Ergebniskosmetik.
Rolf Scholz (Headcoach Depant GIESSEN 46ers Rackelos): „ Der entscheidende Faktor war wohl unser Reboundverhalten. Wenn du deinem Gegner 13 Abpraller mehr gestattest, kannst du ein Spiel auch mal locker mit 20 Punkten verlieren. Da wir aber viele andere kleine Sachen richtig gemacht und nie aufgesteckt haben, konnten wir uns erfolgreich im Spiel halten. Ein Sonderlob gebührt Alen Pjanic und Bjarne Kraushaar. Mammutspiele wie dieses bringen einen hohen Lernfaktor mit sich. Das kann allerdings auch für die gesamte Saison und all unsere Spieler geltend gemacht werden. Es ist traurig, dass wir uns jetzt verabschieden müssen. Aber wir können stolz zurückblicken.“
Ralf Rehberger (Headcoach Rostock Seawolves): „Es ist unfassbar, was passiert ist. Das Spiel war für uns mehrfach weg. Was dann passierte, ist schon jetzt beinahe legendär, weil es so selten vorkommt. Ich habe kaum Worte und bin fix und fertig. Aber ich bin sehr stolz und es ist unfassbar, wie viel Herz und Leidenschaft in diesem Team steckt. Der volle Respekt gehört heute den Jungs.“
Depant GIESSEN 46ers Rackelos – Rostock Seawolves 89:93 n.V. (28:36, 67:67, 79:79)
Viertelergebnisse: 14:19, 14:17, 21:11, 18:20, 12:12, 10:14
Depant GIESSEN 46ers Rackelos: Bjarne Kraushaar (9 Punkte), Alen Pjanic (20), Tim Uhlemann, Leon Okpara (7), Johannes Lischka (8), Marian Schick (6), Dennis Mavin (19), Leo Vrkas (3), Nick Hornsby (17)
Rostock Seawolves: Jordan Talbert (20, 12 Rebounds), Brandon De’Andre Lockhart (19), Zaire Thompson (4), Dennis Teucher (10), Darian Cardenas Ruda (3), Bill Borekambi (27, 13 Rebounds), Chris Frazier (8), Dino Butorac (2)