Im zweiten Teil des großen Sommerinterviews mit Heiko Schelberg geht es um den sportlichen Bereich, das Thema Identifikation, die Entwicklung der ProA und die Ziele für die Zukunft.
Blicken wir auf den sportlichen Bereich: Siehst Du eine Gefahr, dass der Halbfinaleinzug des Vorjahres eine zu hohe Erwartungshaltung für die neue Saison aufbauen könnte?
„Die Messlatte liegt natürlich sehr hoch nach dem vierten Tabellenplatz und dem Halbfinaleinzug in der letzten Saison. Aber wir werden auch in der Spielzeit 2014/2015 in einer Übergangssaison sein. Wir sollten nicht den Fehler machen, uns da selber zu sehr unter Druck zu setzen, sondern weiterhin mit der nötigen Ruhe arbeiten. Ich denke, dass sich diese Geduld auszahlen wird. Wir stehen für seriöse Arbeit und stellen jetzt die Weichen, um in der Saison 2015/16 auch sagen zu können, dass der Aufstieg unser Ziel ist. Dann hätten wir genau unseren Dreijahresplan eingehalten. Da kann ich nur nochmal um die Geduld aller Beteiligten bitten. Natürlich liegt der Fokus nun auf der Saison 2014/2015, aber gedanklich befassen wir uns auch schon sehr intensiv mit der Saison 2015/2016.“
Wie sehen Deine Gefühle aus, wenn Du an die vergangene Saison zurückdenkst?
„Ich glaube es war eine Saison, die gezeigt hat, dass hier eine Menge Bewegung drin ist. Ich hoffe, dass es unseren vier Spielern, die schon im letzten Jahr dabei waren, und unserem Headcoach gelingt, diese Stimmung, diese Euphorie, dieses gute Gefühl mit rüber zunehmen in die kommende Saison. Wir waren alle überaus zufrieden, dass wir überraschenderweise das Halbfinale erreicht haben. Dort sind wir auf einen übermächtigen Gegner getroffen, mit ganz anderen finanziellen Vorrausetzungen. Unser Etat in der letzten Saison lag mit Sicherheit im unteren Drittel der Liga, umso höher ist die Arbeit aller zu bewerten. Die Mannschaft hat sich super geschlagen. Ich glaube, wir haben uns in der Liga eine Menge Respekt erarbeitet. Man kann im Sport im Vorfeld super planen, letztendlich ist Erfolg aber davon abhängig, ob ein Team funktioniert. Wie gesagt, es war eine tolle Saison und ich hoffe und wünsche mir, dass wir wieder so eine Saison hinlegen.“
Mit Benni Lischka, Thierno Agne, TJ DiLeo und Jonny Malu konnten gleich vier Spieler für den Kader der kommenden Saison gehalten werden.
„Ja, und es freut mich sehr, dass wir die Vier weiterverpflichten konnten. Ich habe immer gesagt, dass ich hier für Identifikation, Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit sorgen möchte. Auch da haben wir unseren Worten Taten folgen lassen. Wir sind sicherlich nicht in der Lage, dass wir Spieler mit Geld überzeugen können. Dementsprechend ist es ein super Zeichen, dass wir mit vier Spielern aus der letzten Saison in die neue Spielzeit gehen. Vermutlich gab es sowas zuletzt hier in den 70ern. Auch, dass Denis Wucherer in der nächsten Saison wieder an der Linie steht, spricht für Kontinuität. Die brauchen wir in allen Bereichen.“
Blicken wir auf die 2. Basketball Bundesliga ProA. Wie siehst Du die Entwicklung der Liga?
„Da sprechen ja die Fakten für sich. Crailsheim ist in der Lage in die erste Liga aufzusteigen. Damit ist glaube ich gesagt, wie stark die ProA positioniert ist. Dass der Abstand zwischen der BBL und der ProA geringer wird, ist sicherlich das, was sich jeder gewünscht hat. Dass die Mannschaften aufsteigen, die es sportlich geschafft haben, und dass die Mannschaften absteigen, die es sportlich nicht geschafft haben. Die ProA ist eine interessante Liga und wird mit Hamburg als neuem Standort sicherlich noch einmal aufgewertet.“
Du sprichst Hamburg an. Was hältst Du von dem Projekt im Norden?
„Es ist die erste Saison von Hamburg. Wir sind alle gespannt, wie die Towers in die Saison kommen. Hamburg ist natürlich eine wunderschöne Stadt, aber man wird auch relativ schnell merken, dass sich auch da der Basketball erstmal positionieren muss, schließlich gibt es in Hamburg viele Wettbewerber, die auf die Gunst der Zuschauer und Sponsoren kämpfen. Ich glaube, es gab schon einige ambitionierte Mannschaften, die sehr öffentlichkeitswirksam angekündigt worden sind, letztendlich aber die Hoffnungen nicht im vollen Umfang erfüllt haben. Aber nochmal: Ich bin froh, dass Hamburg dabei ist und wünsche ihnen eine super Saison.“
Gegen die Towers geht es bereits im ersten Heimspiel am 27. September. Ist die Vorfreude schon da?
„Die innere Anspannung nimmt natürlich von Tag zu Tag zu. Wir bewegen uns im Sportbereich in einem sehr emotionalen Umfeld, dennoch sind wir ein Wirtschaftsunternehmen und da ist Rationalität gefordert. Natürlich freuen wir uns auf den Saisonstart, aber eigentlich bin ich geistig noch weit weg davon. Ich denke momentan von Tag zu Tag. Dass wir all das, was wir uns vorgenommen haben, auch umgesetzt bekommen. Erstens mal, um alle Projekte punktgenau umzusetzen. Zweitens ist man natürlich gespannt, wie der Ticketverkauf laufen wird. Man geht ja immer in etwas Ungewisses rein. Man kalkuliert mit Sponsorenerlösen, wenn man dann merkt, dass da alles gut läuft, dann ist das wiederum ein gutes Gefühl. Jetzt freuen wir uns erstmal, wenn dann bald die Spieler anreisen. Drei, vier Tage vor Saisonbeginn geht es dann los mit der inneren Anspannung. Die ersten drei Spieltage können schon eine erste Standortbestimmung sein.“
Wie lautet die Zielsetzung für die kommende Spielzeit?
„Wenn alles gut läuft, wir von Verletzungen verschont bleiben und alle Spieler das vorhandene Potential abrufen, dann wollen wir selbstverständlich in die Playoffs kommen. Ich gehe auch davon aus, dass wir die Zuschauer in der Sporthalle Gießen-Ost wieder begeistern und mitreißen können. Das ist auch ein Stück weit unsere neue Philosophie. Aber es ist auch noch etwas zu früh, denn die Jungs kommen ja jetzt auch alle erst, lernen sich auf und abseits des Feldes kennen. Die Chemie in einer Mannschaft ist unheimlich wichtig. Machen wir es kurz: Wir wollen in der kommenden Saison in die Playoffs.“
Blicken wir in die Zukunft. Auf welchem Weg siehst Du die GIESSEN 46ers?
„Momentan sehe ich uns auf einem sehr guten Weg. Was wir hier in den letzten zwei Jahren weggearbeitet haben, ist schon bemerkenswert. Wir haben aber natürlich auch noch einiges vor, deshalb ist es ganz sinnvoll, von Tag zu Tag zu denken. Wir sehen uns auf einem sehr guten Weg, sowohl im sportlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Und ich sage das mal ganz trocken raus: Ich wüsste nicht was BBL-Standorte wie Bayreuth, Tübingen oder Hagen für Vorteile uns gegenüber hätten. Wenn wir hier schuldenfrei sind, werden wir uns auch nicht mehr dagegen wehren, das Wort „Beko BBL“ in den Mund zu nehmen. Aber zum richtigen Zeitpunkt, wenn der Weg geebnet ist, so dass wir sagen können: „Wir sind wettbewerbsfähig in der ersten Liga.“ Ich denke, das war man in den letzten BBL-Jahren nicht, das zeigt ja auch die Anzahl der Wildcards sehr deutlich. Ich möchte da zwar nicht den mahnenden Finger heben, sage aber auch in aller Deutlichkeit, dass wir da mit Sicherheit Unterstützung aus dem gesamten Umfeld brauchen. Damit meine ich zum Beispiel eine eigene Trainingshalle. Zu dem Thema sind wir gerade in Gesprächen mit der Stadt. Das bedeutet aber auch langfristig einen Hallenneubau. Das heißt nicht, dass wir morgen oder übermorgen einen neue Halle bauen wollen. Aber wir müssen auch, wenn wir hier langfristig denken und planen, trotz unserer kleinen realistischen Schritte die wir tagtäglich machen, im Fokus haben, was in sechs Jahren ist. Und da muss man sich die Frage stellen, ob wir mit der Sporthalle Gießen-Ost wettbewerbsfähig sind. Das kann man so oder so auslegen, aber es muss zumindest darüber gesprochen und nachgedacht werden. Sprich, die Stadt Gießen trägt eine Menge Mitverantwortung, wie die Entwicklung sich hier fortsetzt. Natürlich brauchen wir auch die gesamte Region was das Thema Sponsoring angeht, was das Thema allgemeine Unterstützung angeht. Wie gesagt es muss alles sehr gut zusammenpassen. Es müssen auch andere Parameter greifen, die uns in unserem Vorhaben in der Art und Weise unterstützen, so dass wir wirklich sagen können, dass wir eine Basketballstadt sind und eine Rückkehr in die erste Liga möglich ist. Wir haben erlebt, dass man sich immer nur auf den sportlichen Bereich konzentriert hat. Ja, darum geht es letztendlich, aber die GIESSEN 46ers haben nur eine wirkliche Konstante, das sind die Fans und Zuschauer. Hier geht es nicht um Einzelpersonen, besonders nicht um einen Heiko Schelberg, Denis Wucherer oder irgendeinen Spieler. Es geht einzig und allein um die GIESSEN 46ers, den Traditionsverein im deutschen Basketball. Auf der Personenebene wird es immer ein Kommen oder Gehen sein, so funktioniert heute der Profisport. Das einzige, was bleibt, ist nämlich genau die Marke GIESSEN 46ers. Aber trotzdem wollen wir diese Mechanismen so gering wie möglich halten und Identifikation schaffen. Diesen Club wollen wir dahin führen, dass er für die Zukunft bereit ist.“
Du hast Themen wie die Trainings- und Spielhalle angesprochen. Wo siehst Du ansonsten noch Defizite?
„Es gibt natürlich noch Themenbereiche, in denen wir nochmal richtig Gas geben müssen. Zum Beispiel beim Thema Jugendarbeit. Mit der Gründung der Basketball Akademie Gießen Mittelhessen ist da ein Meilenstein gelegt worden, den sich vor allem Dr. Wolfgang Leutheuser auf die Fahnen schreiben kann. Nach dem Abstieg der NBBL-Mannschaft haben wir nun jedoch ein klaffendes Loch zwischen der U16 und unserer Profimannschaft. Da gilt es viel aufzuarbeiten. Umso wichtiger ist es, dass wir die sportliche Kooperation mit den Licher BasketBären eingegangen sind. Wir haben jetzt zwei Spieler verpflichtet, die mit einer Doppellizenz ausgestattet sind. Es wird einen intensiven Austausch geben. Die Nichtqualifikation der NBBL werden wir aber nicht im vollen Umfang auffangen können. Es muss unser aller Ziel sein, im nächsten Jahr wieder eine NBBL-Mannschaft an den Start zu bringen. Das Thema Jugendarbeit ist mir überaus wichtig. Auch dafür führen wir momentan Gespräche mit der Stadt, ob und wie uns die Stadt unterstützen kann. Wir haben außerdem im letzten Jahr, vor allem Dank der Arbeit von Dr. Marco Danisch und von Sascha Schneider, einen Quantensprung hinsichtlich unserer Sozialaktionen gemacht. Ich weiß nicht, wann die 46ers das letzte Mal in diesem Bereich so gut aufgestellt waren. Eine unserer Hauptaufgaben wird es aber auch sein, Kinder an den Basketball heranzuführen. Wenn ich da zum Beispiel an die Schulliga und weitere Aktionen denke, die wir da neben dem normalen Tagesgeschäft durchgeführt haben. Darauf müssen wir aufbauen. Und da zeigt sich auch wieder, was wir für ein starkes Geschäftsstellenteam haben. Dass wir eben nicht nur auf die Profimannschaft fokussiert sind, sondern dass wir wissen, dass in einigen Bereichen akuter Nachholbedarf besteht. Da gibt es aus der Vergangenheit viel aufzuarbeiten. Und auch das werden wir wie gewohnt sehr gut und souverän hinbekommen. Darüber hinaus prüfen wir aktuell die Möglichkeit, zeitnah unsere Geschäftsstelle nach Gießen umzusiedeln. Auch das hat für mich etwas mit dem Thema Identifikation zu tun. Wir sind schließlich ein Gießener Klub.“
Kommen wir zum Abschluss: Wo siehst Du die GIESSEN 46ers in drei Jahren?
„Ich möchte, dass die GIESSEN 46ers DER Traditionsclub in Deutschland sind, der außerdem für absolute Seriosität, Glaubwürdigkeit und Identifikation steht. Und das in der ersten Liga.“
Vielen Dank, Heiko!