Er war weder besonders lange bei den 46ers aktiv, noch konnte er einen Titel einheimsen oder Rekorde aufstellen. Und dennoch gehört die Leistung von Coach Ken Scalabroni zu den größten, deren Zeuge Club und Fans in den letzten 30 Jahren werden durften. Der erfahrene Übungsleiter übernahm eine restlos verunsicherte Mannschaft und impfte ihr das Siegesgen neu ein.
BBL-Spiele für Gießen: 22
Position: Headcoach
Siegquote: 45.5%
Größte Leistung: Formte Brian Snider zu einem BBL-tauglichen Spieler
Karrierestationen: Fokopo Forssa, Bamberg, Fribourg Olympic, Braunschweig, GIESSEN 46ers (2006/07), USK Prag, WBC Wels, USK Prag, BK Pardubice
Am Abgrund
Mit einer Übergangssaison hatte man in Gießen nach zwei Erfolgsjahren (Playoffs 2005, Top-4 2006) gerechnet. Immerhin waren mit Lou Campbell, Anton Gavel, Chuck Eidson und Co. Grundstützen abgewandert. Dass man Anfang Dezember aber mit einer Bilanz von 2:20 Punkten ganz am Ende der Tabelle stehen würde, war nicht abzusehen. Stefan Koch zeigte auch in der Krise Größe und gab sein Traineramt freiwillig auf, um einen Neustart zu ermöglichen. So kam es, dass Scalabroni an die Lahn wechselte.
Wie Phoenix aus der Asche
Diese Phase war noch härter als es das miserable Punktesaldo vermuten lässt. Gleich am ersten Spieltag gingen die 46ers in Ludwigsburg mit 56:104 unter. Achtzig mitgereiste Fans sorgten dafür, dass der Zustand der Mannschaft zu Hause kein Geheimnis blieb. Blowouts wechselten sich danach mit knappen, bitteren Niederlagen ab. Es verwunderte daher, dass Scalabroni gleich im ersten Spiel für einen Überraschungsscoop in Ulm sorgte (82:76). Und dabei blieb es nicht: Der Coach schweißte sein Team zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, in der am Ende jeder einen Beitrag leistete. Auch limitierte Akteure wie der US-Amerikaner Brian Snider kamen zum Zuge: Hatte der Guard anfangs Probleme, den Ball über die Mittellinie zu bringen, wurden seine Defensivfähigkeiten zum wichtigen Baustein. Am Ende hielten die 46ers mit 12 Punkten Abstand sogar souverän die Klasse. Wie Scalabroni im Training zu Werke ging, davon zeugt ein Mitschnitt auf YouTube, der ihn bei einem Workshop mit Jugendspielern zeigt. Titel: Teaching toughness for basketball! (Siehe unten) https://www.youtube.com/watch?v=fXI4WFA0zDk
Große Geste zum Abschied
Das letzte Heimspiel fand gegen Köln stand. Gießen hatte längst die Klasse gehalten. Es war ein blutarmes
Auslaufen. Die rheinischen Gäste dominierten, selbst auf den Rängen. Das änderte sich erst kurz vor Spielende. Längst war bekannt, dass Scalabroni Gießen verlassen würde. „[D]er 50 Jahre alte Amerikaner bekam … einen Abgang, den er hinterher als ‚korrekt‘ bezeichnete. Kurz vor Spielende erhoben sich die 3450 Zuschauer von ihren Plätzen und bedachten Scalabroni mit großem Applaus“, schrieb die FAZ damals. Der Coach winkte den Fans ein letztes Mal zu: Eine große Geste.
Text: Sebastian Kilsbach