Heinz Ross – Der Kleine mit den starken Nerven

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Mit nur 1,77 m Körpergröße war Heinz Ross der Kleinste in der MTV-Meistermannschaft von 1965. Aber er zeigte sich im unvergesslichen Finale gegen den VfL Osnabrück als Spieler mit ganz starken Nerven. Erst in der vorletzten Spielminute kam der Aufbauspieler beim 66:66 auf das Spielfeld – und wurde nur zehn Sekunden nach seiner Einwechslung gefoult. Ross durfte, musste an die Freiwurflinie. Wenn er nicht traf, war Osnabrück kaum noch zu stoppen. 59 Sekunden vor Spielende konnte der noch kaum auf Betriebstemperatur gekommene 22-Jährige seine Mannschaft aber auch möglicherweise spielentscheidend in Führung bringen. Und Ross behielt bei wenigstens einem seiner beiden Bonuswürfe die Ruhe sowie eine sichere Hand, erzielte das 67:66. Osnabrücks Uhlig traf zwar noch zum 68:67. Aber mit dem legendären 14-Meter-Wurf von Ernie Butler vier Sekunden vor dem Ende besiegelten die MTV-Spieler dann die Sensation und holten das Meisterschild an die Lahn.

Der kleine, schnelle Heinz Ross war in diesem Team zwar kein Spieler der ersten Fünf, aber ein wichtiger Eckpfeiler im Konzept, wann immer möglich Schnellangriffe zu laufen. In der Verteidigung besetzte der nach dem Krieg mit seiner Mutter aus Breslau erst nach Reiskirchen geflohene und später Richtung Gießen gewechselte Spielmacher die vorderste Position. Und wann immer es möglich war, ging mit Ross der Schnellangriffs-ICE in Richtung des gegnerischen Korbes.

Gelernt hatte der heutige Ingenieur für Hochfrequenz- und Nachrichtentechnik den Umgang mit der Nylonkugel beim VfB 1900: „Da habe ich erst Handball und dann Basketball gespielt, bin dann aber wegen des Basketballs zum MTV gewechselt.“ Was aus zwei Gründen gar nicht so einfach war. Ross spielte die erste Zeit lang beides, Basketball und Handball. Was erstens gar nicht so gerne gesehen war, weil sich VfB und MTV im Handball heftige Nachbarschaftsduelle lieferten. Und zweitens musste Ross zuweilen an einem Spieltag in Windeseile von der einen Sportart zur anderen wechseln: „Da habe ich manchmal in der Millerhall nach einem Spiel die Sachen gepackt und bin gleich in die Doppelturnhalle, um dort bei meinem anderen Team mitzuspielen.“ Dass er trotz des intensiven Trainings wegen seiner fehlenden Körpergröße nicht zur ersten Wahl von Trainer Pit Nennstil gehörte, war zwar nicht sein Traum, wurmte ihn aber auch nicht. Vielleicht weil er wusste, dass seine Zeit kommen würde.

Die kam mit dem Nachfolger von Nennstil, Laszlo Lakfalvi. Bei ihm konnte Heinz Ross in der zweiten Meistersaison 66/67 in die Stammformation aufrücken, beendete dann aber seiner beruflichen Laufbahn zu Liebe die Karriere. Als Absolvent des Realgymnasiums auf der Herderschule ließ sich Ross zunächst bei der Firma Weiß zum Elektromechaniker ausbilden, studierte dann an der FH Gießen und trat in die Firma Röntgen Müller (heute Phillips Medizinsysteme) ein. Da war für das Hobby Basketball keine Zeit und kein Raum mehr. Aber die Erfahrungen mit der Meistermannschaft („Ich habe nur tolle Erinnerungen, fühlte mich immer super eingebunden in die Mannschaft“) halfen ihm, seine berufliche Karriere erfolgreich zu gestalten: „Wir haben im Training gelernt, uns Ziele zu setzen und die
auch mit Fleiß und Zuverlässigkeit zu erreichen. Der Sport hat uns gelehrt, jemand zu sein und nicht nur wie jemand zu wirken.“

Da Ross aber zunächst immer nur für kurze Zeit in Hamburg, Bielefeld, Nürnberg und Würzburg arbeitete und lebte, musste der Basketball zwangsläufig in den Hintergrund treten. Dass er sich schließlich für einen Wechsel nach München bewarb, hatte seinen Grund allerdings dann doch wieder im Basketball: „Wir haben ja in der Oberliga und nachher der Bundesliga auch gegen München gespielt. Da hat mir die Stadt so gut gefallen, dass ich mich darum bemüht habe, dorthin zu kommen.“ So lebt Heinz Ross nun schon über dreißig Jahre lang an der Isar, trifft sich noch einmal im Jahr mit Bernd Röder und freut sich schon riesig darauf, im April bei der Feier anlässlich der „40 Jahre 1. Deutsche Meisterschaft des MTV 1846 Gießen“ endlich einmal alle damaligen Mitstreiter wiederzusehen. Und die können sich dann ja noch einmal bei ihm bedanken – wegen seiner starken Nerven im Finale gegen Osnabrück.

Text: Wolfgang Lehmann

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