Klaus „Tschang“ Jungnickel ✝

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Er war einer der Größten, für viele sogar der Größte, den der Gießener Basketball je hatte. Als Spieler. Und als Trainer. Dreimal, 1965, 1967 und 1968, Deutscher Meister auf dem Feld. Einmal, 1975, in der Verantwortung auf der Bank. Und als i-Tüpfelchen: 1969 und 1973 Pokalsieger.

Am Sonntag ist Klaus Jungnickel, den alle nur „Tschang“ nannten, weil ein US-Boy seinen Namen nicht richtig aussprechen konnte und seine Mitspieler die eigenwillige Kreation gerne übernahmen, im Alter von 83 Jahren verstorben. Nach langer Krankheit, friedlich zu Hause im Gießener Stadtteil Petersweiher. Begleitet von seiner zweiten Frau Marion und Tochter Christa, die extra aus den USA gekommen war, um ihrem Vater in dessen letzten Tagen beizustehen. Mittelhessens Basketball und alle, die es mit den JobStairs GIESSEN 46ers halten, sind tief erschüttert.

Der ehemalige Oberstudienrat am Wetzlarer Hessenkolleg, der sich sein Sport- und Chemie-Studium nachts als Taxifahrer finanziert hatte, fand über die Leichtathletik in der Pestalozzischule den Weg zum Basketball. Ex-MTV-Coach Pit Nennstiel befand Jungnickel und dessen engsten Freund Bernd Röder ob ihrer stattlichen Körpergröße als geeignet, mal mitzutrainieren.

„Tschang“ schaffte gleich den Sprung in die Bezirksliga-Mannschaft, Bernd notierte die Zwischenstände mit Kreide auf einer Schiefertafel. Alsbald sollte sich jedoch herausstellen, dass Klaus Jungnickel, den seine Nebenleute ob seiner Treffsicherheit nur die „goldene Hand“ nannten, für die Männerturner unverzichtbar war.

Seine Philosophie, „gebt mir den Ball und spielt eine gute Verteidigung“, prägte jahrelang das Treiben des MTV 1846 in der Doppelturnhalle und später in der Osthalle, in der „Tschang“ fast immer als Topscorer das Feld verließ, in der er die Kontrahenten mit seiner eleganten Ballbehandlung und seinem ausgezeichneten Wurf reihenweise entnervte, in der so manche großen Erfolge gefeiert und so manche Europapokalschlacht geschlagen wurde. „Tschang ist der einzige Basketballer, der auch schießt, wenn er den Ball nicht hat“, frotzelten seine Mitspieler gerne. Der Erfolg gab Jungnickel fast immer Recht.

So auch beim unvergessenen 69:68 im 1965er-Finale, als Ernie Butler mit dem letzten Wurf den VfL Osnabrück in die Knie zwang. „Es war mein größter sportlicher Tag“, behauptete der zweifache Vater und vierfache Großvater noch Jahrzehnte später, obwohl er im gleichen Jahr an der Europameisterschaft in der damaligen Sowjetunion in sechs Spielen das Trikot mit dem Bundesadler auf der Brust getragen hatte.

Nach 161 Partien für den MTV, in denen er sagenhafte 3296 Punkte markierte, übernahm Jungnickel eher unfreiwillig 1974 von Didi Kienast das Traineramt. Von vielen als Abstiegskandidat angesehen, machte er aus der Not eine Tugend, beorderte den eigentlich als Center verpflichteten, aber bei seiner Ankunft nur 1,93 Meter große Dennis Curran unter das Brett und kitzelte die Kämpferqualitäten seiner eingeschworenen Truppe heraus. „Am Ende waren wir Deutscher Meister und niemand wusste, was eigentlich geschehen war.“

Dem Basketball und seiner Osthalle blieb Klaus Jungnickel stets treu. Mal, um seinen finanziell angeschlagenen Club zusammen mit ehemaligen Weggefährten aus seiner Privatschatulle am Leben zu erhalten. Und stets als ebenso kritischer, wie lautstarker Geist auf der Tribüne, der schon mal seinen angestammten Platz verließ, um den Schiedsrichtern und dem Kampfgericht „in aller Ruhe“, wie er stets mit einem Lächeln auf den Lippen behauptete, zu erklären, wie der Sport unter den Körben eigentlich funktioniert.

Als „Lichtgestalt“ des Gießener Basketballs hätte sich „Tschang“ Jungnickel nie bezeichnet. Dass er am gleichen Tag verstarb wie Franz Beckenbauer, dürfte dennoch kein Zufall sein …

 

12.01.24

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