Magische Momente im Golf Diesel

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Zu den vielen magischen Momenten des Basketball-Bundesliga Gründungsmitglieds MTV 1846 Gießen gehören nicht nur die für die Beteiligten wie Fans unvergessenen Aufstiegs-, Meisterschafts- oder Play-Off Spiele. Es gab beispielweise auch den 5. Oktober 1996, ein Samstag. Die Mannschaft des MTV Gießen mit Filip Piljanovic, Lutz Mandler , Thomas Andres, Vladimir Bogojevic, Ivica Piljanovic, Patrick King, James Shields, Casey Schmidt, Jacek Duda, Niklas Lütcke, Walter Palmer und David Picton (später kam als Nachverpflichtung noch Troy Sidney Brown hinzu) startete unglücklich in die Saison. 4:8 Punkte konnte Cheftrainer Armin Andres bis zu diesem denkwürdigen Samstag vorweisen. Aber die Sterne des MTV standen seit dem Vorwochenende günstiger. Die Telekom Baskets waren mit einem 88:79 aus der Osthalle geprügelt worden. Nun galt es, beim Ligaschlusslicht Ludwigsburg den Aufwärtstrend zu bestätigen.

Wie gewohnt brach die Mannschaft per Bus frühzeitig auf. Bis 30 Kilometer vor Ludwigsburg lief nicht nur alles glatt, sondern sogar so zügig, dass sich die Trainer entschlossen, für eine kurze Rast anzuhalten, um sich die Beine zu vertreten und am Spielort nicht allzu früh vor verschlossener Rundsporthalle zu stehen. Der Verkehrsfunk meldete nichts, nach einer Tasse Kaffee ging´s weiter. Plötzlich, nur einige Kilometer von Ludwigsburg entfernt, stockte der Verkehr. Blinkende Warnleuchten. Stau. Nichts ging mehr auf der BAB. Und die Uhr tickte unaufhaltsam weiter Richtung Spielbeginn. Mehr und mehr stieg die Nervosität im Mannschaftsbus. Bis irgendwann klar war, dass sich der Stau nicht mehr rechtzeitig auflösen würde. Co-Trainer Michael Müller erkundete zu Fuß die nähere Umgebung und fand in drei Kilometer Entfernung eine inoffizielle Waldausfahrt. Der Busfahrer weigerte sich, über die Standspur dem Stau zu entfliehen. Dann die scheinbar rettende Idee. Neben dem Giessener Bus stand ein Golf mit Ludwigsburger Kennzeichen. Ungewöhnliche Situationen brauchen ungewöhnliche Maßnahmen. Der Golf wurde zum Mini-Mannschaftsbus. Nach nur kurzem Zögern erklärte sich der Golf-Fahrer bereit, sein Auto zur Verfügung zu stellen. Fünf lange MTV-Kerls falteten sich samt Sporttaschen in das feuerrote Spielmobil und machten sich über den Standstreifen dünne.

Doch wie das so ist. Wenn einmal der Wurm drin ist, dann ist der Wurm drin. Der Tankinhalt neigte sich dramatisch dem Ende zu. Fahrer Thomas Andres fürchtete, noch vor der Halle stehen zu bleiben, steuerte eine Tankstelle an. Um Zeit zu sparen, rannte er schon an die Kasse und beauftrage Sportkamerad James Shields, Benzin einzufüllen. Und der erwischte statt der nötigen Diesel Zapfpistole den Super-Schlauch. Einige Kilometer machten das die Glühkerzen des Golf-Diesel noch mit. Dann bockte der Leihwagen und rollte am Straßenrand aus. Thomas Andres, James Shields, Patrick King, Casey Schmidt und Vladi Bogojevic schnappten sich ihre Sporttaschen und joggten die letzten Kilometer bis zur Halle, stürmten deutlich nach dem offiziellen Spielbeginn in die Ludwigsburger Arena, traten drei Minuten nach der Kulanzzeit zum Sprungball an – und gingen sofort in Führung. Als die Kollegen mit dem Bus eintrafen, lag Gastgeber Ludwigsburg schon deutlich hinten, hatte aber vorsorglich Protest eingelegt. Gießen gewann die Partie zwar auf dem Spielfeld überlegen mit 74:62.

Am grünen Tisch jedoch verloren die Stau-Opfer die Partie mit 0:1. Außerdem musste Manager Robby Meyer die Reparatur des feuerroten Golf Diesel bezahlen. Die Saison verlief dann nach diesem magischen Moment auch weiter unrund. Mit hohen Ansprüchen gestartet, dümpelte der MTV lange im Tabellenkeller, im Dezember musste Coach Armin Andres den Hut nehmen, Nachfolger Hans Brauer erreichte auch nicht mehr die Play-Offs. Erst in der Relegationsrunde zeigte die Mannschaft ihre Klasse und sicherte sich verlustpunktfei den Ligaerhalt.

Text: Wolfgang Lehmann

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