62:105 lautete vor ziemlich genau 37 Jahren das ernüchternde Endergebnis eines Spiels des damals zum zweiten Mal nach 1965 amtierenden deutschen Meisters MTV 1846 Gießen in einer Europapokal-Partie. Dennoch gehört die Begegnung für die Beteiligten zu den Magic Moments der Vereinsgeschichte. Weil das Resultat in der 2. Runde des internationalen Wettbewerbs bei Maccabi Tel Aviv erstens durch die äußeren Umstände relativiert wurde. Weil die Mannschaft um den einmal mehr herausragenden Klaus „Dschang“ Jungnickel (30 Punkte in Tel Aviv) sich im Rückspiel in einem laut Presse bis zu diesem Zeitpunkt besten Spiel einer deutschen Mannschaft auf internationaler Ebene auch sportlich mehr als rehablitierte (72:84 vor 1500 Zuschauern in der total überfüllten Doppelturnhalle). Und weil am Ende Holger Geschwindner in der Folge der Begegnung in Israel mit einer Medaille vom damaligen Hessischen Ministerpräsidenten August Zinn ausgezeichnet wurde.
Der Reihe nach. Durch zwei sichere Siege gegen Racing Club Luxemburg konnten sich die Männerturner für die zweite Runde im Europapokal qualifizieren. Die Auslosung bescherte für Anfang Dezember 1967 als Gegner das hochklassig besetzte Team von Tel Aviv. Das Hinspiel sollte in Gießen stattfinden. Aber Tel Aviv wollte unbedingt zuerst Heimrecht haben. Das Angebot der Maccabi-Vereinsführung an den MTV lautete: Kommt ihr zunächst zu uns, spendieren wir euch eine Woche Hotelaufenthalt in Tel Aviv. Bernd Röder und Kollegen brauchten bei einer solchen Offerte nicht lange zu überlegen und so machte sich die Delegation aus Mittelhessen als erste deutsche Mannschaft nach dem Sechs-Tage-Krieg und als zweite deutsche Mannschaft überhaupt am 4. Dezember auf den Weg ins gelobte Land.
Der Empfang durch den deutschen Botschafter Dr. Paul geriet herzlich, der der israelischen Gastgeber zunächst durchwachsen. Einen Tag später galt es dann, im mit 8000 Zuschauern ausverkauften Freiluftstadion von Tel Aviv die letzten bedenken aus Kopf und Beinen zu verbannen. Die Tatsache, dass die Mannschaft die Arena durch einen dichten Polizeikordon betreten musste, wird da nur bedingt hilfreich gewesen sein. Dass es sportlich dann aber derart deutlich wurde, lag dann doch eher an den ungewohnten Spielbedingungen. Der Spielfeldbelag war ein Marmorboden und es regnete an diesem Abend, weshalb die Begegnung nicht nur bei Auszeiten unterbrochen wurde, sondern auch immer wieder, um die Spielfläche trocken zu wischen. Doch die empfindliche sportliche Klatsche konnten Röder, Jungnickel, Geschwindner und Freunde schnell wegstecken, erlebten sie in der folgenden Woche mit Besuchen in Jerusalem und Haifa sowie dem Zusammentreffen einiger ehemaliger Gießener so viele unvergessliche Eindrücke, dass der Sport schnell in den Hintergrund rückte.
Am Ende ihrer Dienstreise schafften es die langen Kerls sogar noch auf die Titelseiten der israelischen Gazetten. Am letzten Tag kickten die Basketballer am Strand noch ein wenig Fußball, als sie einige Angler aufgeregt auf einen Ertrinkenden aufmerksam machten. Holger Geschwindner war es dann, der einen schon etwas betagteren Isreali aus dem Wasser zog und reanimierte. Nachdem der Gerettete wieder bei Kräften war, gab es zunächst nur einen kurzen Dank und die sportlichen Diplomaten aus Gießen gingen ihres Wegs. Am nächsten Tag jedoch sahen sie auf dem Flughafen das Konterfei von Bernd Röder auf den Titelseiten der Gazetten. Röder kaufte ein Blatt ohne es lesen zu können, in dem Glauben, es stehe noch etwas über das Spiel gegen Tel Aviv in dem Artikel. Erst ein Übersetzer in Gießen sorgte für Aufklärung und las den Heimgekehrten die Schlagzeile vor, die sinngemäß lautete: Wenigstens ein Jude ist von Deutschen gerettet worden. Dass nicht Röder, sondern Geschwindner die entscheidende Hilfe leistete, war schnell geklärt. Ihm hängte dann auch der Hessische Ministerpräsident die Ehrenmedaille um, was sicher mehr wert war als ein sportlicher Sieg.
Text: Wolfgang Lehmann